Tomasz Konicz: Wohin treiben wir?

Schwerpunkt: Demonetize

Franz Schandl: Without money! Für die Abschaffung eines substituierten Gewaltverhältnisses
Julian Bierwirth: Kritik und Affirmation. Zur Auseinandersetzung mit der Geldpfuscherei
Lorenz Glatz: Bei der Freundschaft hört sich das Geld auf. Anläufe zu einem Verständnis
Andreas Exner: Mythos Geld. Ein Diskussionsanstoß in 5 Akten
Alfred Fresin: Produktionsverhältnis weg, Staat weg – Geld passé!
Stefan Meretz: Peer-Produktion und gesellschaftliche Transformation. Zehn Diskursfiguren aus dem Oekonux-Projekt
Jan-Hendrik Cropp: Landnutzung ein Stück weit demonetarisieren
Bernd Mullet: Weg mit dem Handel
Home Stories: mit Beiträgen von Severin Heilmann und Franz Schandl
Peter Klein: Der Terror der Positivität. Anmerkungen zu Byung-Chul Hans „Müdigkeitsgesellschaft
Petra Ziegler: Terra incognita. Stichworte zur Kritik

Kolumnen

Dead Men Working: Maria Wölflingseder
Immaterial World: Stefan Meretz

Rubrik 2000 abwärts

Julian Bierwirth ( J.B.)

Rezension

Lorenz Glatz (L.G.) zu Raúl Zibechi: Territorien des Widerstands
Lorenz Glatz (L.G.) zu W. Rätz, T. von Egan-Krieger (Hrsg.): Ausgewachsen! Ökologische Gerechtigkeit. Soziale Rechte

Artikel aus dem Heft

Beispiele für geplanten Verschleiß sind mittlerweile Legion. Eine beliebte Variante läuft darauf hinaus, bei der Produktion der Ware deren Haltbarkeit künstlich zu verkürzen. Über Nylon etwa hält sich hartnäckig das Gerücht, es würde während seiner Herstellung derart behandelt, dass es besonders empfindlich wird. Dann reißt der Faden schneller und der nächste Einkauf kann nicht allzu lange aufgeschoben werden. Auch bei Mobiltelefonen als vielbenutzten Alltagsgegenständen werden nicht zufällig Gehäuse mit einem gewissen Anteil Kunstleder benutzt, die sich leicht eindrücken lassen. Das sieht beizeiten nicht mehr schön aus und verleitet zum Kauf eines neuen Produktes. Doch nicht nur an Äußerlichkeiten lässt sich drehen.

Dass die Dinge in Waren- und Geldgesellschaften einen doppelten Charakter annehmen, durch den die vermeintliche Rationalität in pure Irrationalität umschlägt, ist für die meisten Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler*Innen ebenso wie für die politischen Entscheidungsträger*Innen nicht vorstellbar. Ihnen gilt gerade der eingeschränkte Blick, den sie auf die Welt werfen, als besonders menschenfreundlich.

Anmerkungen zu Byung-Chul Hans „Müdigkeitsgesellschaft“

Für alte Klassenkämpfer, die den Kapitalismus als die unsittliche Veranstaltung der „Herrschenden in Staat und Gesellschaft“ betrachten, handelt es sich bei der  „Müdigkeitsgesellschaft“ sicher um starken Tobak. Denn genau von diesem Denkstil, bei dem die moderne Gesellschaft nach alter, in die Zeiten der Französischen Revolution zurückreichender Tradition als das Resultat eines äußeren Herrschens dargestellt wird, setzt sich Byung-Chul Han in dem genannten Essay ab. Wer dagegen, wie es sich meiner Meinung nach gehört, den Kapitalismus als ein automatisch funktionierendes System begreift, mit dem geldverdienenden Subjekt als seinem tragenden Element, kann sich über diesen Versuch einer Zeitgeistdiagnose nur freuen.

Raúl Zibechi: Territorien des Widerstands. Aus dem Spanischen übersetzt von K. Achtelik und H. von Wangenheim Assoziation A, Berlin/Hamburg 2011, 176 Seiten, ca. 16 Euro

Zibechi, Journalist, Publizist und Aktivist aus Uruguay, sieht in den Peripherien der großen Städte eine emanzipatorische Perspektive für Lateinamerika entstehen. Dort bilden für den Kapitalismus überflüssige Menschen seit einem halben Jahrhundert autonome Parallelgesellschaften aus. Eine wichtige Rolle spielen dabei Frauen, vor allem Mütter, die häusliche Logik der Fürsorge und Versorgung auf den öffentlichen Raum des Viertels übertragen.

Wir müssen das agrarpolitische Desaster auf den Äckern tagtäglich mitansehen. Mit Entmonetarisierung als Perspektive dagegen meine ich in diesem Beitrag, die landwirtschaftliche Produktion unabhängiger von Geld und seiner Logik zu gestalten.

Der Kritiker ist also praktizierender Affirmatiker. Mehr als er das System mit seiner Schreibe schädigen kann, arbeitet er ihm durch Alimentierung zu.

In regelmäßigen Abständen verkünden Politiker*Innen jedweder Coleur, die Gesellschaft habe „über ihre Verhältnisse“ gelebt. Obwohl häufig gehört, macht diese Redewendung doch stutzig. Dass eine Gesellschaft in der Lage ist, „über ihre Verhältnisse“ zu leben, ist keineswegs selbstverständlich. Kein Mensch und keine Gesellschaft ist beispielsweise dazu fähig, in einem gegebenen Zeitraum mehr zu verbrauchen, als vorhanden ist.

Das Schlagwort von der Demonetarisierung ist ein neuer, schillernder Begriff im emanzipatorischen Diskurs. So ist es nicht verwunderlich, wenn sich schnell Missverständnisse und Abgründe auftun. Einige von ihnen sollen hier diskutiert werden.

Den ersten erinnerlichen Umgang damit hatte ich in zartem Kindesalter: Zwei Sumsi-Mitarbeiter nahmen die Entleerung eines jeden Büchslein vor und der jeweilige Auswurf am Tisch wurde allseits aufmerksam gemustert und taxiert. Da war es feierlich still. Dass ich nun hingeben musste, was doch als überaus wichtig galt, ging mir nur schwer ein. „Sparen“ heißt das, und irgendwann lernten wir die Lektion alle: Das Weniger heute ist das Mehr von morgen.

Werner Rätz, Tanja von Egan-Krieger u.a. (Hrsg.): Ausgewachsen! Ökologische Gerechtigkeit. Soziale Rechte. Gutes Leben. VSA-Verlag 2011, 192 Seiten, ca. 15,80 Euro

Der Sammelband zum Kongress „Jenseits des Wachstums?!“ (Attac 2011, Berlin) gibt einen Überblick, wie die Debatte zum „Ende des Wachstums“ aktuell verläuft. Ein Befund dazu, im Buch selbst nicht ausgesprochen, könnte sein: Degrowth ist das Ende des Kapitalismus, sein Herzstück, die unendliche Verwertung, bricht an der Endlichkeit des Planeten – aber Degrowth muss keineswegs das Ende von Herrschaft sein.

Um einer Dämonisierung des Geldes entgegenzutreten und einen klaren Blick für die Demonetarisierung zu gewinnen, seien ein paar Anmerkungen zum derzeitigen Geldwesen eingebracht.

Die Linke hat ein neues Modewort entdeckt: geplante Obsoleszenz. Der Begriff ist eine Adaption aus dem englischen Sprachraum, wo von planned obsolescence die Rede ist. Der Begriff kommt von dem Adjektiv obsolet, das so viel bedeutet wie „nicht mehr gebräuchlich“ oder „hinfällig sein“. Gemeint ist „geplanter Verschleiß“.

Zehn Diskursfiguren aus dem Oekonux-Projekt

Oekonux wurde als Reflexionsprojekt rund um Freie Software gegründet, aber von Beginn an gab es die These der Verallgemeinerung von Beobachtungen über Freie Software in andere Bereiche sowohl immaterieller wie materieller Produktion.
In der Folge stelle ich zehn Diskursfiguren vor, die aus Debatten im Oekonux-Projekt hervorgegangen sind.

Das Bild des Jahres 2008 zeigt einen Polizisten, der mit gezogener Waffe eine zu räumende Wohnung durchschreitet. Durch die Immobilienkrise konnten viele Wohnungsbesitzer*Innen die Raten an die Bank nicht mehr zahlen – und dann kam die Polizei. Aber was ist mit den Menschen geschehen, die noch kurz zuvor diese Wohnung als ihr zu Hause bezeichnen konnten?

„Money makes the world go round, go round…!“ – Genau so ist es. So lange es Geld gibt, wird das Geld die Welt beherrschen. Die Aufgabe der Marktwirtschaft ist es, aus Geld mehr Geld zu machen. Ohne Gewinnmaximierung kein Überleben. Das ist der Zweck aller Übungen. Geld ist mitnichten ein unschuldiges Mittelchen zu schönen Zwecken, sondern durchdringt unser Leben bis in die intimsten Regungen. Alles – immer mehr auch jenes, das bis dato nicht für vermarktbar gehalten wurde – wird kommerzialisiert.

Anläufe zu einem Verständnis

Geld ist eine bestimmte Form von Beziehung zwischen Menschen. Es vermittelt gleichwertigen Tausch von eigentlich unvergleichbaren Dingen, Kauf und Verkauf. Es bringt den Markt in Schwung und hält ihn am Laufen. Geldverkehr und Marktgeschehen bringen aber im Grund nicht Menschen in Kontakt, sondern ihnen gehörende Dinge.

Zur Auseinandersetzung mit der Geldpfuscherei

In einer alten indischen Legende über die Erfindung des Schachspiels wird berichtet, der Erfinder des Spiels habe von seinem König für diese Erfindung nicht mehr verlangt als Weizenkörner. Ein Korn auf das erste Feld des Schachbrettes, die doppelte Menge auf das zweite Feld, wiederum die doppelte Menge auf das dritte Feld und so weiter.

Für die Abschaffung eines substituierten Gewaltverhältnisses

Gemeinhin gilt Geld als zivilisatorische Errungenschaft schlechthin. Einmal geschaffen kann es nie wieder abgeschafft werden. „Geld ist instituierte Selbstreferenz“, schreibt Niklas Luhmann (Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1988, S. 16). Via Geld bestätigt sich das System seine Läufigkeit.

Ein Diskussionsanstoß in 5 Akten

Ein Leser meint: Eine Welt ohne Geld wäre schön, doch eine schöne Welt ohne Geld sei unmöglich. Also, brauchen wir Geld oder brauchen wir Geld nicht? Im Folgenden behandle ich fünf Fragen zum Thema Geld. Als Überschriften dienen mir die wichtigsten Antworten darauf. Es spricht einiges dafür, dass es dabei um Mythen geht.

Den einen erscheint das Geld als bloßer Schleier, zweckneutral (es kommt nur darauf an, was eins daraus macht), die anderen wollen die Übel des Kapitalismus alleine in der Gier nach dem schnöden Mammon festmachen und zu schlechter Letzt reduziert sich die Missbilligung einer offenbar wachsenden Zahl (mal wieder) auf die Ablehnung zinstragenden Kapitals. Rette es, wer kann – das Geld.

Der inneren Logik seiner Krisendynamik überlassen, wird das in Agonie liegende kapitalistische System in Barbarei umschlagen.

Deutschlands Managerkaste reißt beim Thema Griechenland langsam der Geduldsfaden. Inzwischen sprechen sich auch Spitzenvertreter der deutschen Kapitalverbände dafür aus, Hellas aus der Eurozone auszuschließen.

Stichworte zur Kritik

Lamento. Geschimpft wird viel. Vorneweg (wenn auch mit gehörigem Respekt) auf die  Finanzmärkte, die US(!)-Ratingagenturen, über Gier und ungerechte Verteilung, gegen die Boni-Banker, Spekulanten und all die anderen Gauner, auf die Unfähigkeit des politischen Personals, nicht zu vergessen, die Griechen, und darüber, dass die Menschen „so“ sind. Fehlen irgendwo Schuldige, sie finden sich, dafür sorgt schon die veröffentlichte Meinung.

„Das darf doch nicht wahr sein“, ist des Wutbürgers Schrei und dokumentiert doch nichts anderes als sein breites Unverständnis. Ansonsten könnte er nicht dauernd erschüttert und überrascht sein. Permanente Aufregung ist Kennzeichen der Ignoranz. Wut ist dumpf, aber entschieden. Sie weiß alles, wovon sie nichts versteht.